Biologie der Mukoviszidose
Seit September 2016 ist die Untersuchung auf Mukoviszidose (auch Cystische Fibrose, CF) Teil des deutschlandweiten Neugeborenenscreenings.[1] Fällt die Diagnose positiv aus, sollten Eltern sich an eine spezialisierte Mukoviszidose-Einrichtung wenden, wo die weiterführende Diagnostik und auch eine Bestimmung des Mutationstypen durchgeführt werden kann. Ältere CF-Betroffene erfahren diesen in der Regel bei Untersuchungen in einer CF-Ambulanz.
Typische Anlässe für eine solche humangenetische Testung sind:
- Auffälligkeiten im Neugeborenen-Screening auf Mukoviszidose
- Verdacht auf Mukoviszidose
- Beratung zur Familienplanung oder im Rahmen der Pränataldiagnostik bei Mukoviszidose im Familienkreis
Das Wissen um den eigenen Mutationstyp war für Betroffene lange Zeit nicht wirklich wichtig. „Das hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch geändert“, sagt Prof. Dr. Dr. Burkhard Tümmler. Er ist Professor für Molekulare Pathologie der Mukoviszidose an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Früher wussten die Betroffenen durch ihren Mutationstyp nur, ob sie eine Störung der Bauchspeicheldrüse zu erwarten hatten oder nicht. Heute kann der Mutationstyp zusätzlich auch einen Hinweis auf die individuell richtige Behandlung der Mukoviszidose geben.“
Wir kennen ungefähr 2.000 verschiedene Mutationsarten des CFTR-Gens, von denen einige Mukoviszidose auslösen können.Prof. Tümmler
Die Mutationstyp-Klassen
„Wir kennen ungefähr 2.000 verschiedene Mutationsarten des CFTR-Gens, von denen einige Mukoviszidose auslösen können“, erklärt Prof. Tümmler. Inzwischen geht die Wissenschaft von mehr als 400 krankheitsverursachenden Mutationen aus.
Grundsätzlich unterscheidet man sechs Mutationstyp-Klassen[8] (siehe rechts):
Allerdings gibt es auch Mutationen, die bislang nicht zweifelsfrei festgestellt werden können. Prof. Tümmler dazu: „Bei Patienten mit milder Mukoviszidose gelingt es uns auch heute nicht, alle auslösenden Mutationen zu finden.“
- Klasse 1: Die Mutationen sind so stark ausgeprägt, dass kein funktionsfähiges CFTR-Protein gebildet wird. In Deutschland fallen ungefähr 13 % aller CF-Betroffenen in diese Klasse.
- Klasse 2: Die Zellen bilden CFTR-Proteine, allerdings werden diese meist wieder abgebaut, bevor sie ihren Bestimmungsort erreichen. Der Grund: Eine fehlerhafte Faltung des Proteins. In diese Mutationstyp-Klasse fällt die häufigste CF-Störung in Deutschland, nämlich die Mutation F508del. Bei über 80 % der deutschen Betroffenen findet sich diese Genveränderung mindestens einmal.[9]
- Klasse 3: Bei Mutationen der Klasse 3 ist die Öffnung des Ionenkanals gestört: Sie hält nicht ausreichend lange an oder erfolgt nicht oft genug. Diese Mutation findet sich gerade einmal bei jedem 30. Betroffenen in Deutschland.[8,9]
- Klassen 4 und 5: Die Körperzellen produzieren zwar CFTR-Proteine, allerdings mit einer Funktionsstörung oder in nicht ausreichender Zahl. Zusammengenommen betreffen sie etwa 7 % der deutschen CF-Erkrankten.[8,9]
- Klasse 6: Das CFTR-Protein weist eine verminderte Stabilität auf und wird an der Zelloberfläche zu schnell abgebaut.
Das Problem: Ein kleiner Teil des CFTR-Gens kann zwar systematisch auf Mutationen untersucht werden – allerdings besteht das gesamte CFTR-Gen aus etwa 6.500 Bausteinen.[10] Den gesamten Bausatz oder alternativ das gesamte Erbgut eines Betroffenen auf Veränderungen zu untersuchen, ist also sehr aufwändig. Ein Beispiel: Bei der häufigsten Mutation – F508del – fehlt ausschließlich der 508. der rund 6.500 Bausteine.[10] Die Nummer des Bausteins findet sich deshalb in dem Namen der jeweiligen Mutation wieder.[10]
Mutationstyp-Klassen und der Krankheitsverlauf
Die rund 2.000 bekannten Mutationen des CFTR-Gens werden durch die Mutationstyp-Klassen eingeteilt und strukturiert. Man könnte also annehmen, dass Mutationen derselben Klasse auch ähnliche Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf haben. Das ist aber nur bedingt so. Obwohl allen Mukoviszidose-Ausprägungen zwar ein Defekt im gleichen Gen zugrunde liegt, können der klinische Verlauf der Krankheit, betroffene Organe und die Ausprägung der Symptome sehr unterschiedlich sein.
„Das Einzige, was wir wirklich verlässlich wissen, ist der statistische Zusammenhang zwischen dem Mutationstyp und dem Befall der Bauchspeicheldrüse“, erklärt Prof. Tümmler. „Bei Mutationen der Klassen 1 und 2 sind die Betroffenen oft mit Erreichen des ersten Lebensjahrs pankreasinsuffizient.“ Ein früher Therapiebeginn ist hier besonders wichtig. Die Bauchspeicheldrüse funktioniert dann nur noch unzureichend oder gar nicht mehr.[11,12] Patienten der Mutationsklassen 3-6 erreichen dieses Stadium oft erst später, manche sogar erst im Erwachsenenalter und andere gar nicht.
Bei allen anderen Symptomen und CF-typischen Komplikationen lässt sich nur mit Sicherheit sagen, dass weitere Faktoren, wie etwa das Wechselspiel des CFTR-Gens mit anderen Genen oder Umweltfaktoren, eine wichtige Rolle spielen. Denn tatsächlich können sich auch das Klima, die Ernährung und der sozioökonomische Status des Betroffenen auf den Verlauf der Mukoviszidose auswirken – und das, obwohl sie eine Erbkrankheit ist.[13]
Genetiker und CF-Forscher sind aber auf einem guten Weg, die bislang noch unbekannten Zusammenhänge zwischen den Mutationstyp-Klassen und dem Krankheitsverlauf zu enträtseln.
DE-20-2200196