Wissenschaftler erforscht am Mikroskop die Biologie der Mukoviszidose

Biologie der Mukoviszidose

Mukoviszidose entsteht, weil ein Abschnitt des CFTR-Gens mutiert ist. Welcher Abschnitt genau, ist für Genetiker und CF-Forscher interessant – aber auch für Betroffene! Denn dieses Wissen erlaubt teilweise auch Rückschlüsse auf die Therapie und den Krankheitsverlauf.

Seit September 2016 ist die Untersuchung auf Mukoviszidose (auch Cystische Fibrose, CF) Teil des deutschlandweiten Neugeborenenscreenings.[1] Fällt die Diagnose positiv aus, sollten Eltern sich an eine spezialisierte Mukoviszidose-Einrichtung wenden, wo die weiterführende Diagnostik und auch eine Bestimmung des Mutationstypen durchgeführt werden kann. Ältere CF-Betroffene erfahren diesen in der Regel bei Untersuchungen in einer CF-Ambulanz.

Typische Anlässe für eine solche humangenetische Testung sind:

  • Auffälligkeiten im Neugeborenen-Screening auf Mukoviszidose
  • Verdacht auf Mukoviszidose
  • Beratung zur Familienplanung oder im Rahmen der Pränataldiagnostik bei Mukoviszidose im Familienkreis

Das Wissen um den eigenen Mutationstyp war für Betroffene lange Zeit nicht wirklich wichtig. „Das hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch geändert“, sagt Prof. Dr. Dr. Burkhard Tümmler. Er ist Professor für Molekulare Pathologie der Mukoviszidose an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Früher wussten die Betroffenen durch ihren Mutationstyp nur, ob sie eine Störung der Bauchspeicheldrüse zu erwarten hatten oder nicht. Heute kann der Mutationstyp zusätzlich auch einen Hinweis auf die individuell richtige Behandlung der Mukoviszidose geben.“

 

Was bedeutet exokrine Pankreasinsuffizienz?

Rund 87 Prozent der Mukoviszidose-Patienten entwickeln eine sogenannte exokrine Pankreasinsuffizienz (PI). Viele sind bereits pränatal betroffen. Die exokrine Pankreasinsuffizienz gilt als Hauptursache für eine verminderte Nährstoffaufnahme durch die reduzierte Fähigkeit bzw. zunehmende Unfähigkeit der Bauchspeicheldrüse, Verdauungsenzyme zu produzieren. Typische Kennzeichen sind stark veränderter Stuhlgang, Bauchschmerzen, Unterernährung (Dystrophie) und ein Mangel an fettlöslichen Vitaminen und Spurenelementen. Die Betroffenen haben zudem ein erhöhtes Risiko für wiederkehrende und/oder chronische Entzündungen der Bauchspeicheldrüse.[2]

Was sind die Ursachen von Mukoviszidose?

Bei Mukoviszidose ist das CFTR-Gen (CFTR = Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator) mutiert, also verändert. Es enthält dadurch einen falschen „Bauplan“ für die Bildung des CFTR-Proteins.[3] Dieses ist für den Salz-Wasser-Austausch zwischen Zelle und Zelloberfläche zuständig.[3] Bei Mukoviszidose wird das CFTR-Protein, auch Kanalprotein genannt, in zu geringer Anzahl oder defekt gebildet. Siehe auch: https://www.cfsource.de/de/mukoviszidose/ursache

Das kann sich auf allen Schleimhäuten des Körpers bemerkbar machen, gerade in der Lunge, den Verdauungsorganen und der Bauchspeicheldrüse. Ihr schützender Film hat nicht mehr die richtige Konsistenz: Statt dünn und wässrig ist er bei CF-Betroffenen extrem zähflüssig.[4,5] Dieser Schleim beeinträchtigt die Organfunktionen und kann die CF-typischen Symptome auslösen.[7]

Ausführlichere Informationen zum Krankheitsbild, dem Verlauf und den Symptomen erhältst du in unserem Artikel Mukoviszidose – was passiert im Körper? oder auf CFSource.de.

Wir kennen ungefähr 2.000 verschiedene Mutationsarten des CFTR-Gens, von denen einige Mukoviszidose auslösen können. Prof. Tümmler

Die Mutationstyp-Klassen

„Wir kennen ungefähr 2.000 verschiedene Mutationsarten des CFTR-Gens, von denen einige Mukoviszidose auslösen können“, erklärt Prof. Tümmler. Inzwischen geht die Wissenschaft von mehr als 400 krankheitsverursachenden Mutationen aus.

Grundsätzlich unterscheidet man sechs Mutationstyp-Klassen[8] (siehe rechts): 

Allerdings gibt es auch Mutationen, die bislang nicht zweifelsfrei festgestellt werden können. Prof. Tümmler dazu: „Bei Patienten mit milder Mukoviszidose gelingt es uns auch heute nicht, alle auslösenden Mutationen zu finden.“

  • Klasse 1: Die Mutationen sind so stark ausgeprägt, dass kein funktionsfähiges CFTR-Protein gebildet wird. In Deutschland fallen ungefähr 13 % aller CF-Betroffenen in diese Klasse.
  • Klasse 2: Die Zellen bilden CFTR-Proteine, allerdings werden diese meist wieder abgebaut, bevor sie ihren Bestimmungsort erreichen. Der Grund: Eine fehlerhafte Faltung des Proteins. In diese Mutationstyp-Klasse fällt die häufigste CF-Störung in Deutschland, nämlich die Mutation F508del. Bei über 80 % der deutschen Betroffenen findet sich diese Genveränderung mindestens einmal.[9]
  • Klasse 3: Bei Mutationen der Klasse 3 ist die Öffnung des Ionenkanals gestört: Sie hält nicht ausreichend lange an oder erfolgt nicht oft genug. Diese Mutation findet sich gerade einmal bei jedem 30. Betroffenen in Deutschland.[8,9]
  • Klassen 4 und 5: Die Körperzellen produzieren zwar CFTR-Proteine, allerdings mit einer Funktionsstörung oder in nicht ausreichender Zahl. Zusammengenommen betreffen sie etwa 7 % der deutschen CF-Erkrankten.[8,9]
  • Klasse 6: Das CFTR-Protein weist eine verminderte Stabilität auf und wird an der Zelloberfläche zu schnell abgebaut.

Das Problem: Ein kleiner Teil des CFTR-Gens kann zwar systematisch auf Mutationen untersucht werden – allerdings besteht das gesamte CFTR-Gen aus etwa 6.500 Bausteinen.[10] Den gesamten Bausatz oder alternativ das gesamte Erbgut eines Betroffenen auf Veränderungen zu untersuchen, ist also sehr aufwändig. Ein Beispiel: Bei der häufigsten Mutation – F508del – fehlt ausschließlich der 508. der rund 6.500 Bausteine.[10] Die Nummer des Bausteins findet sich deshalb in dem Namen der jeweiligen Mutation wieder.[10]

 

Von Trägern und Erkrankten

Mukoviszidose entsteht durch Veränderungen in einem bestimmten Gen. Wie Gen-Kopien beider Elternteile auf die Nachkommen verteilt werden und welche Auswirkungen das hat, wird auf CFSource.de erklärt.

Mutationstypen auf der Landkarte – Oder: „Woher kommen deine Großeltern?“

CF weltweit: Gemeinsamkeiten durch Migrationsströme

In Deutschland tritt die CFTR-Genmutation F508del am häufigsten auf – allerdings mit einem Nord-Süd-Gefälle. Und: „Berlin ist eine Insel“, sagt Prof. Tümmler. „In der Hauptstadt überwiegen Mutationstypen, die aus dem slawischen Raum stammen.“ Schon in Brandenburg stellt sich das Spektrum wieder anders dar.

Interessanter Nebeneffekt: So können Forscher von der Heimatgegend eines CF-Betroffenen auf den möglichen Mutationstyp schließen.

Innerhalb Europas gibt es ebenfalls große Unterschiede. Das lässt sich etwa bei CF-Betroffenen beobachten, deren Vorfahren aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind. Bei ihnen kommt eine F508del Mutation ebenfalls vor, aber wesentlich seltener.

Manchmal frage ich Patientinnen oder Patienten, woher ihre Großeltern kommen. Das kann ein erster Hinweis auf die krankheitsauslösende Mutation sein. Prof. Tümmler

Genetikerinnen und Genetiker haben – global betrachtet – eine ganz unterschiedliche Verteilung der häufigsten Mutationstypen festgestellt. Das hat einen erstaunlichen Effekt: Durch diese Unterschiede, aber auch durch die Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern lassen sich Migrationsströme der letzten Jahrhunderte nachvollziehen!

Das ist vor allem aus einem Grund möglich: Mukoviszidose ist eine Erbkrankheit. Bestimmte Mutationen treten nur innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen auf, die sich lokal zuordnen lassen. Verändern diese Gruppen ihren Lebensmittelpunkt – etwa durch Auswanderung oder Flucht – und zeugen mit den alteingesessenen Bewohnern Nachwuchs, enthält deren Erbgut die CFTR-Gene beider Elternteile.

Prof. Tümmler: „Wir können zum Beispiel nachvollziehen, dass ein paar Familien aus Baden-Württemberg im 18. Jahrhundert in die neue Welt ausgewandert sind, ins spätere North Carolina. Wir wissen das, weil die Auswanderer ihre sehr seltenen Mutationen in den CF-Genpool der dort ansässigen Bevölkerung eingebracht haben.“ 

Mutationstyp-Klassen und der Krankheitsverlauf

Die rund 2.000 bekannten Mutationen des CFTR-Gens werden durch die Mutationstyp-Klassen eingeteilt und strukturiert. Man könnte also annehmen, dass Mutationen derselben Klasse auch ähnliche Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf haben. Das ist aber nur bedingt so. Obwohl allen Mukoviszidose-Ausprägungen zwar ein Defekt im gleichen Gen zugrunde liegt, können der klinische Verlauf der Krankheit, betroffene Organe und die Ausprägung der Symptome sehr unterschiedlich sein.

„Das Einzige, was wir wirklich verlässlich wissen, ist der statistische Zusammenhang zwischen dem Mutationstyp und dem Befall der Bauchspeicheldrüse“, erklärt Prof. Tümmler. „Bei Mutationen der Klassen 1 und 2 sind die Betroffenen oft mit Erreichen des ersten Lebensjahrs pankreasinsuffizient.“  Ein früher Therapiebeginn ist hier besonders wichtig. Die Bauchspeicheldrüse funktioniert dann nur noch unzureichend oder gar nicht mehr.[11,12] Patienten der Mutationsklassen 3-6 erreichen dieses Stadium oft erst später, manche sogar erst im Erwachsenenalter und andere gar nicht.

Bei allen anderen Symptomen und CF-typischen Komplikationen lässt sich nur mit Sicherheit sagen, dass weitere Faktoren, wie etwa das Wechselspiel des CFTR-Gens mit anderen Genen oder Umweltfaktoren, eine wichtige Rolle spielen. Denn tatsächlich können sich auch das Klima, die Ernährung und der sozioökonomische Status des Betroffenen auf den Verlauf der Mukoviszidose auswirken ­– und das, obwohl sie eine Erbkrankheit ist.[13]

Genetiker und CF-Forscher sind aber auf einem guten Weg, die bislang noch unbekannten Zusammenhänge zwischen den Mutationstyp-Klassen und dem Krankheitsverlauf zu enträtseln.

DE-20-2200196

Quellennachweis
  1. Mukoviszidose e.V. Bundesverband Cystische Fibrose (CF). Online verfügbar unter: https://www.muko.info/informieren/ueber-die-erkrankung/diagnostik/ ­– zuletzt aufgerufen am 08.12.2022
  2. Durno C, Corey M, Zielenski J, et al. Genotype and phenotype correlations in patients with cystic fibrosis and pancreatitis. Gastroenterology 2002; 123: 1857-64.
  3. Derichs N, „Targeting a genetic defect: cystic fibrosis transmembrane conductance regulator modulators in cystic fibrosis“, European Respiratory Review, 22, 127, 58-65, 2013.
  4. Cystic fibrosis foundation. CF Genetics: The Basics. Online verfügbar unter: www.cff.org/What-is-CF/Genetics/CF-Genetics-The-Basics/ – zuletzt abgerufen am 08.12.2022
  5. Cysic fibrosis foundation. Basics of the CFTR Protein. Online verfügbar unter: https://www.cff.org/Research/Research-Into-the-Disease/Restore-CFTR-Function/Basics-of-the-CFTR-Protein/ – zuletzt abgerufen am 31.02.2021
  6. CF Source. Online verfügbar unter: https://www.cfsource.de/de – zuletzt abgerufen am  08.12.2022
  7. CF Source. Ursache der Mukoviszidose. Online verfügbar unter: https://www.cfsource.de/de/mukoviszidose/ursache – zuletzt abgerufen am 08.12.2022
  8. Cystic Fibrosis News Today. Types of CFTR mutations. Online verfügbar unter: https://cysticfibrosisnewstoday.com/types-of-cftr-mutations/ - zuletzt abgerufen 08.12.2022
  9. Nährlich et al.,Deutsches Mukoviszidose Register Berichtsband 2021. 
  10. Mukoviszidose e.V. Bundesverband Cystische Fibrose (CF). Online verfügbar unter: https://www.muko.info/informieren/ueber-die-erkrankung/diagnostik/gentest/ – zuletzt abgerufen am 08.12.2022
  11. Fischer Biner R, Cystische Fibrose – ein Update. Universimed.ch Leading Opinions Pneumologie. Online verfügbar unter: www.universimed.com/ch/article/pneumologie/cystische-fibrose-ein-update-2128879 - zuletzt abgerufen am 08.12.2022
  12. Gesundheit.gv.at. Pankreasinsuffizienz. Online verfügbar unter: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/verdauung/bauchspeicheldruese/pankreasinsuffizienz – zuletzt abgerufen am 08.12.2022
  13. Schechter MS, Shelton BJ, Margolis PA, Fitzsimmons SC. The association of socioeconomic status with outcomes in cystic fibrosis patients in the United States. Am J Respir Crit Care Med. 2001;163: 1331–7.