Auffälliger Befund beim Neugeborenenscreening: Wie geht es weiter?
Wenn der Befund der Routineuntersuchung dann doch auffällig ist, folgen weitere Tests und schließlich bei etwa einem von 3.300 Kindern die Diagnose Mukoviszidose.[1] Für die Eltern ist das meist ein riesiger Schock. Ein "normales" Leben erscheint plötzlich unmöglich. Die Diagnose trifft Eltern meist völlig unvorbereitet, denn oft zeigen die positiv diagnostizierten Neugeborenen keinerlei Symptome. Was genau die Ursache für die Erkrankung ist und welche Symptome sich äußern, haben wir in einem Artikel erklärt.
Neugeborenenscreening – Früherkennung in den ersten Lebenstagen [1, 2, 3]
Im Rahmen des Neugeborenenscreenings werden in Deutschland alle Neugeborenen auf insgesamt 17 Zielerkrankungen untersucht. Die Früherkennung dieser Krankheiten ist wichtig, da durch eine frühzeitige Therapie die Folgen der Erkrankungen abgewendet oder zumindest sehr stark abgemildert werden können. Seit 2016 beinhaltet das Neugeborenenscreening auch die Untersuchung auf Mukoviszidose [5]. Die Teilnahme ist freiwillig, die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
Nur in einem von fünf auffälligen Neugeborenenscreenings bestätigt sich der Verdacht auf Mukoviszidose.
Ein auffälliger Screeningbefund bedeutet in Bezug auf Mukoviszidose nur, dass eine weitere Untersuchung erforderlich ist. In der Regel werden dann positiv gescreente Kinder an ein CF-Zentrum zur diagnostischen Abklärung (Schweißtest) überwiesen. Der Schweißtest ist die sicherste Möglichkeit, um Mukoviszidose zu bestätigen oder auszuschließen. Nur in einem von fünf auffälligen Neugeborenenscreenings wird aufgrund des anschließenden Schweißtest die Diagnose Mukoviszidose gestellt.
Früherkennung von Mukoviszidose im Rahmen des Neugeborenenscreenings
1. Am zweiten oder dritten Lebenstag werden dem Säugling wenige Tropfen Blut entnommen und auf eine Filterpapierkarte getropft, die dann im Screeninglabor auf bestimmte Eiweiße und unter Umständen auch auf Gene untersucht wird.
2. Ergibt das Screening einen auffälligen Befund, erfolgt die Überweisung an eine Mukoviszidose-Einrichtung. Dort wird im Schweißtest untersucht, ob ein erhöhter Salzgehalt im Schweiß vorhanden ist.
3. Ist der Befund positiv und somit der Verdacht auf Mukoviszidose bestätigt, erfolgt eine Beratung durch spezialisierte Ärzte. Mukoviszidose ist noch nicht heilbar, aber es stehen heute verschiedene symptomatische Behandlungsmethoden zur Verfügung und im Falle von bestimmten Mutationen Behandlungen, die an dem zugrunde liegenden Proteindefekt ansetzen. Eine frühzeitige und konsequente Therapie ist dabei wichtig.
Diplom-Psychologin Pia Maria Schäfer leitet die Abteilung Psychologie, Ergo- und Musiktherapie an der Fachklinik Satteldüne in Nebel auf Amrum. Im Rahmen ihrer Arbeit begleitet sie viele Familien, junge und erwachsene Patienten. Viele Patienten kennt Frau Schäfer von klein auf.
Eine frühe Diagnose ist wichtig, weil dadurch auch die Therapie sehr früh einsetzen und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann. Für die Eltern ist die Diagnose kurz nach der Geburt jedoch häufig sehr schwer zu akzeptieren. „Das gilt vor allem, wenn die Neugeborenen noch keinerlei Auffälligkeiten oder Symptome zeigen. Dann ist es für viele Eltern so, als würde man ihr gesundes Kind krank machen, erklärt Diplom-Psychologin Pia Maria Schäfer von der Fachklinik Satteldüne in Nebel. Betroffene Eltern wollen die Diagnose daher anfangs oft nicht wahrhaben und hegen starke Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse.
Vielen Eltern ist der Schock direkt nach der Diagnose auch Jahre später noch sehr präsent: Ist es denn überhaupt möglich, diesen zu überwinden?
Es ist auf jeden Fall möglich zu lernen, mit den Herausforderungen im Alltag umzugehen. Die immer wieder leider auch traumatische Erinnerung an die Diagnoseeröffnung selbst ist hingegen oft nur schwer auflösbar. Das gilt selbst dann, wenn man viele positive Aspekte im Leben der Patienten dagegensetzen kann und sieht, dass sich die ersten oft sehr schlimmen Befürchtungen nicht bewahrheitet haben.
Wie gut der Schock überwunden wird, hängt entscheidend von den Persönlichkeiten der Eltern ab. Das hat nichts mit sozialem Status zu tun, sondern mit der seelischen Widerstandsfähigkeit, der Fähigkeit, das Beste aus dem Gegebenen zu machen. So können manche Eltern schneller sagen: Das ist jetzt so, ich akzeptiere das und schaue, wie es jetzt im Leben weitergeht. Manchen Menschen ist das gegeben, andere müssen das mühsam lernen. Und anderen gelingt das überhaupt nicht. Im Rückblick erzählen uns viele Eltern, dass sich bei ihnen die Prioritäten sehr stark verändert haben. Sie regen sich deutlich weniger über Dinge auf, sondern freuen sich viel mehr an dem, was möglich ist.
Welchen emotionalen Herausforderungen begegnen betroffene Eltern noch?
Ich erlebe häufig, dass sich Eltern mit Schuldgefühlen plagen. Das hat mit Logik nichts zu tun, aber das Gefühl ist da. Gedanken wie „mein Erbteil macht mein Kind krank“ kommen dann auf. Die Schuldgefühle der Eltern beziehen sich aber nicht nur auf das vererbte Gen, sondern auch auf die Therapie, wenn beispielsweise eine Inhalation versäumt wurde. Eltern spüren einen enormen Druck, alles 150-prozentig richtig zu machen.
Elternpaare, die bereits ein oder mehrere Kinder haben und dann bei der Geburt des jüngsten Kindes die Diagnose Mukoviszidose erhalten, sind zwar nicht mehr so unsicher und teils weniger hilflos wie viele junge Eltern bei ihrem ersten Kind. Jedoch haben sie stark mit der Frage zu kämpfen, was mit den älteren Geschwisterkindern ist. Denn die älteren Geschwister müssen dann auch getestet werden. Vielleicht haben sie auch Mukoviszidose und es hat nur noch niemand gemerkt, weil es ein milder Verlauf ist.
Als sich der auffällige Erstbefund bestätigt hatte und wir die Diagnose bekamen, hatten wir endlich wieder Boden unter den Füßen und konnten nach vorne schauen.Kai-Roland Heidenreich, Vater eines Sohnes mit CF
Wie lange benötigen Eltern, um sich mit den Herausforderungen zu arrangieren, die eine chronische Krankheit wie Mukoviszidose mit sich bringt?
Das ist sehr individuell. Relativ zügig geht die organisatorische Abwicklung vonstatten, beispielsweise die Umsetzung der Therapie und die Integration in den Alltag. Die Krankheit zu akzeptieren, ist ein längerer Prozess. Dies wird auch immer vom Gesundheitszustand abhängig sein. Wenn die Eltern etwa einen Weg für sich und ihr Kind gefunden haben und merken, dass so weit alles ist wie bei gesunden Gleichaltrigen, dann ist der Prozess erst einmal abgeschlossen. Wenn es dann aber Situationen gibt, in denen sie durch die Krankheit an Grenzen stoßen, dann kommt das Thema aufs Neue sozusagen in die nächste Bewältigungs- und Akzeptanzschleife. Was dann hilft, ist immer auch der Austausch mit anderen Betroffenen. Ob das jetzt direkt oder über Onlineforen ist. Das hilft auch Patienten selbst.
Gibt es etwas, was Eltern in dieser Situation helfen kann? Was raten Sie?
Der wichtigste Punkt ist ein gut unterstützendes familiäres und soziales Netzwerk, das Kraft spendet und auch im Alltag unterstützt. Auch der Kontakt und Austausch mit anderen betroffenen Familien kann Perspektiven eröffnen. Vätern und Müttern tut es in der Regel sehr gut, wenn sie sehen, wie andere Familien mit Kindern, die CF haben, das Leben gestalten. Es macht Mut, dass man den Kindern beispielsweise nicht ansieht, dass sie eine Krankheit haben. Das ist etwas, das in dem ersten Erleben, in dem nur auf das eigene Kind geschaut wird, sonst häufig nicht möglich scheint.
Der CF-Ambulanz kommt ebenfalls eine sehr wichtige Rolle zu, das hören wir aus Elterngesprächen immer wieder. Wenn die Eltern dort das Gefühl bekommen, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist. Und wenn die Fachleute neben ihrer Kompetenz auch eine positive und zukunftsorientierende Ausrichtung vermitteln, dann ist das für die Eltern sehr hilfreich.
Zudem kann eine familienorientierte Rehabilitation kurz nach Diagnosesstellung helfen, den ersten Schock zu bewältigen. Von der intensiven Beschäftigung mit der Situation und der Auseinandersetzung fern vom Alltag profitiert die ganze Familie, auch die gesunden Kinder. Darüber hinaus eröffnet die Rehabilitation viele Perspektiven. Die Betroffenen lernen viele andere Menschen mit Mukoviszidose kennen, die ganz normal leben und arbeiten können.
Wann brauchen Eltern selbst professionelle, psychologische Hilfe? Wo können sie diese finden?
Für Eltern stellt die Diagnose bei ihrem Neugeborenen eine enorme Ausnahmesituation und eine hohe emotionale Belastung dar. Spätestens, wenn eine depressive Entwicklung eintritt, was in dieser Situation nicht untypisch ist, brauchen Eltern selbst Hilfe. Eltern sollten darauf achten, ob sie sehr starke Ängste entwickeln und sie aus einem Kreislauf negativer Gedanken nicht mehr herausfinden. Es kann auch dazu kommen, dass das erkrankte Kind von den Eltern nicht mehr als Person gesehen werden kann, sondern nur noch als Krankheit. Erste Anlaufstelle kann hier immer die CF-Ambulanz sein. Darüber hinaus kann etwa eine längerfristige psychotherapeutische Begleitung dabei unterstützen, die schwierige Situation besser bewältigen zu lernen.
Wie kann die künftige Organisation des Alltags gemeistert werden und wo können Eltern Hilfe dabei bekommen?
Gerade für junge Eltern ändert sich mit der Geburt eines Kindes das ganze Leben. Auch hier können Ärzte und die CF-Ambulanz erste wichtige Informationen und Hilfestellungen geben. Zudem gibt es die Möglichkeit, für die therapeutische Unterstützung Pflegefachkräfte ins Haus zu holen und sich von Ihnen wichtige Handgriffe zeigen zu lassen. Manche Physiotherapeuten kommen zu den Behandlungen nach Hause und können eine wichtige Bezugsperson für die ganze Familie werden.
Je kränker man das Kind wahrnimmt, je furchtbarer man dieses Schicksal erlebt, desto unwahrscheinlicher ist die Wiederherstellung eines ausgeglichenen Alltags.Pia Maria Schäfer
In den ersten Lebensmonaten können die Hebammen eine wichtige Begleitung für die Familien sein und auch in alltagspraktischen Dingen unterstützen und anleiten. Aber es gibt auch viele Kinder mit Mukoviszidose, die schon sehr früh in die Kita oder zur Tagesmutter gehen – einfach, weil es notwendig ist. Viele Kinder mit Mukoviszidose besuchen übrigens einen regulären Kindergarten - beispielsweise Marlon. In einem Interview haben uns seine Eltern über ihre Erfahrungen und Tipps bei der Suche nach einem Kindergartenplatz berichtet. Die Diagnose ist nicht unbedingt ein Argument für einen integrativen oder inkludierenden Kita-Platz. Dieser kann jedoch sinnvoll sein, wenn der Gesundheitszustand eine sehr hohe Therapiedichte erfordert.
Wenn Eltern es schaffen, ihr Kind als Kind zu sehen und nicht als „mein armes krankes Kind“, dann ist die Lösung gut möglich, das Kind in die Fremdbetreuung zu geben und dadurch für die Eltern wieder mehr Freiräume zu schaffen. Je kränker man das Kind wahrnimmt, je furchtbarer man dieses Schicksal erlebt, desto unwahrscheinlicher ist die Wiederherstellung eines ausgeglichenen Alltags.
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