„Akzeptiert CF als einen Teil von euch!“
Es war eine klirrend kalte Nacht im Januar 1970. Gaby Einbecker war erst wenige Wochen alt, als sie schweißgebadet in ihrem Babybettchen lag. Das Fieber stieg unaufhörlich höher und sie rang um Luft – und um ihr Leben. Kurz nach ihrer Geburt wäre sie in dieser Nacht fast an einer Lungenentzündung gestorben. Ihre Eltern brachten sie in ein Kreiskrankenhaus im bayerischen Unterfranken, das damals von Nonnen betrieben wurde. Ein paar Tage später riefen diese an, um Gaby Einbeckers Eltern mitzuteilen, dass ihre Tochter im Sterben liege. Sie werde wohl nur noch wenige Tage leben, da sie kaum Luft bekomme. Was ihre Tochter genau habe, konnten die Ärzte des Krankenhauses nicht sagen. Sie vermuteten eine schwere Atemwegsinfektion. Damals, in den 70er Jahren, war die Krankheit Mukoviszidose noch weitgehend unbekannt.
Kindheit im Krankenhaus
Doch Gaby hatte Glück. Wie so viele Male später noch hatte sie einen Schutzengel, damals in Form ihrer Großmutter. Diese hatte von ihrem Hausarzt von einem Krankenhaus bei Würzburg gehört, in dem Ärzte eine seltene Krankheit namens Mukoviszidose erforschten und behandelten. Die Symptome, die der alte Hausarzt beschrieb, ähnelten ganz denen ihrer Enkelin. Kurzerhand wurde Gaby in das Krankenhaus verlegt.
Die Ärzte entdeckten einen Abszess, also eine Eiteransammlung, in der Lunge. Kurz danach wurde bei ihr Mukoviszidose diagnostiziert. Das rettete ihr das Leben – und war gleichzeitig der Beginn ihres persönlichen Familiendramas. Ganze zwei Jahre verbrachte Gaby in dem Krankenhaus – ihre ersten beiden Lebensjahre. Ihre Mutter und ihre Familie durften sie währenddessen kein einziges Mal besuchen kommen. Allein lag sie in Quarantäne – ohne körperlichen Kontakt zu ihrer Mutter. Heute weiß man, wie wichtig die ersten Lebensmonate und -jahre für die Bindung zwischen Mutter und Kind sind. Damals ging es einzig darum, das Leben des Neugeborenen zu retten.
Schwarzes Schaf: Von der Familie verstoßen
„Als ich aus dem Krankenhaus zu meinen Eltern zurückdurfte, war ich für meine Mutter ein Fremdkörper. Sie wollte mich nicht mehr haben und verstieß mich aus der Familie“, erinnert sich Gaby Einbecker. Und weiter: „Ich glaube, sie hatte Angst vor mir und meiner damals noch unbekannten Krankheit. Mit meinen roten Haaren und meiner hellen Haut sah ich auch ganz anders aus als meine dunkelhaarigen Schwestern. Meine Mutter war sehr katholisch und empfand mich als eine Bestrafung Gottes für ihre Sünden.“ Was Gaby erzählt, klingt wie eine Geschichte aus dem dunklen Mittelalter. Doch ihre Geschichte ist erst fünfzig Jahre her. Und sie zeigt, wie viel Unrecht aus Unwissenheit geschehen kann. Und wie die Erforschung seltener Krankheiten wie Mukoviszidose dafür sorgt, gesellschaftliche Stigmata abzubauen.
Ihre Oma und die Tiere: Fels in der Brandung
Wieder war die Oma der Schutzengel des Kleinkindes. Oma Betty holte ihre Enkeltochter zu sich auf ihren Bauernhof. Neben ihrer Großmutter haben auch die Tiere dort ihr Halt gegeben: „Die Tiere haben mich so geliebt, wie ich bin. Bis heute geben sie mir Kraft.“ Auf dem Hof wuchs Gaby weitgehend in Frieden und mit vielen Freiheiten auf.
Meine Oma stand immer wie ein Fels in der Brandung hinter mir und hat mir Mut gemacht, dass auch ich ein Anrecht auf ein glückliches Leben habe.Gaby
Doch in der Grundschule ging es weiter mit der Ausgrenzung, die sie schon durch ihre Eltern kannte. Die Siebenjährige sah nicht nur anders aus als ihre Mitschüler, sie war auch häufiger krank. „Ich war für mein Alter sehr klein, blass und dünn. Oft war ich erkältet und musste im Unterricht viel husten.“ Es waren nicht nur die Mitschülerinnen und Mitschüler, die Gaby Einbecker mobbten, sondern vor allem die Lehrer. „Ich wurde oft vor die Tür geschickt, wenn ich husten musste“, erinnert sich die heute 54-Jährige. Freunde hatte sie damals keine. Von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern habe sie erfahren, dass deren Eltern ihnen den Kontakt mit ihr untersagten – aus Angst vor einer Ansteckung mit der unbekannten Krankheit. Doch das kleine Mädchen lässt sich nicht unterkriegen. Schon früh hat sie gelernt, zu kämpfen – je stärker der Wind, der ihr ins Gesicht bläst, desto mehr Widerstand entwickelte sich in ihr.
Kampf für ein selbständiges Leben
Trotz wochenlanger Krankheit und vieler Fehlzeiten schaffte es Gaby Einbecker auf die Realschule. Sie war eine fleißige Schülerin und intelligent. Ihr Ziel: Ihre Leidenschaft zum Beruf machen und Tierärztin zu werden. Doch dann passierte erneut eine dramatische Wende in ihrem Leben: Ihre geliebte Großmutter starb – und Gaby musste als Teenager zurück zu ihren Eltern.
Ihre Mutter ließ sie deutlich spüren, dass sie das schwarze Schaf der Familie und unerwünscht war. Die Eltern besaßen einen Dorfladen – hier musste Gaby nach der Schule arbeiten und putzen, während ihre Schwestern lernen durften, erzählt sie. Um möglichst früh auf eigenen Beinen stehen und ausziehen zu können, absolvierte sie nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zur Erzieherin. Währenddessen erkundigte sie sich, ob ein Medizinstudium aufgrund ihrer Erkrankung möglich sei. Ihr wurde jedoch von ihrem Traumberuf abgeraten, wegen der Keime, die sie gefährden könnten.
Sohn Niklas: Die Liebe ihres Lebens
Gaby ließ sich wieder nicht unterkriegen. Inzwischen hatte sie, neben den Tieren, neue Kraftquellen gefunden, die ihr Leben lebenswert machten: Freunde und Tanzen. In einer Disco lernte sie ihren ersten Mann kennen. Damals war sie 24 Jahre alt. Schon bald heirateten sie und kurze Zeit darauf wurde sie schwanger. „Jeder, außer meinem Mann, war gegen die Schwangerschaft, sogar meine Frauenärztin. Meine Mutter wollte sogar, dass ich das Kind abtreibe.“ Die Schwangerschaft, erinnert sie sich, verlief bis auf eine Unterzuckerung reibungslos.
„Ich war damals die erste Frau in der Region mit Mukoviszidose, die ohne künstliche Befruchtung schwanger wurde.“ Drei Wochen vor dem geplanten Geburtstermin kam ihr Sohn Niklas gesund per Kaiserschnitt zur Welt. Bis heute ist er ihr Ein und Alles, Mutter und Sohn haben ein inniges Verhältnis. „Vielleicht ist meine Mutterliebe so groß, weil ich meinem Sohn all das geben möchte, was ich in meiner Kindheit selbst nicht von meiner Mutter bekommen habe“, sagt Gaby. Die Ehe zu ihrem ersten Mann zerbrach, doch die Liebe zu ihrem Sohn bleibt. Sie arbeitet in der Firma ihres Sohnes, der inzwischen selbst verheiratet ist, als Buchhalterin. Außerdem ist sie in zweiter Ehe glücklich verheiratet und hat einen Mann gefunden, der ihr eine große Unterstützung ist. „In meinen dunkelsten Zeiten hätte ich es nicht für möglich gehalten, jemals eine eigene Familie zu haben, irgendwo hinzugehören. Damals habe ich manchmal mit meinem Schicksal gehadert und meine kranke Lunge verteufelt. Es war ein Gefühl, als ob ich in meiner Lunge ertrinke.“
Ich kann nur allen raten, die an Mukoviszidose erkrankt sind und denen es manchmal ähnlich schlecht geht: Verliert nicht den Mut.Gaby
„Und kämpft vor allem nicht gegen eure Krankheit an. Nehmt eure Mukoviszidose an – sie ist ein Teil von euch. Geht liebevoll mit euch und eurer Krankheit um", ergänzt sie. Heute lebt Gaby Einbecker zusammen mit ihrem Mann, ihrem Hund und ihrer Katze in einem selbst renovierten Haus und ist glückliche Oma von einem dreijährigen Enkelkind. Wenn sie die Erde im Garten umgräbt, überkommt sie immer wieder ein tiefes Gefühl von Frieden. „Ich bin dankbar, für alles, was ich erreicht habe. Nicht trotz, sondern mit meiner Krankheit."
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